Ein Spezialist für Grenzbereiche
Ein Spezialist für Grenzbereiche
01.08.2023 - von Markus Schmitz
Dr. Andreas Anton beschäftigt sich schon seit vielen Jahren mit soziologischen Fragestellungen rund um das Phänomen von Ufo-Sichtungen. In letzter Zeit registriert er Veränderungen.
Dr. Andreas Anton weiß um die Probleme, sich mit Ufos zu beschäftigen. Das Thema wird gerne ins Lächerliche gezogen: Dann ist von grünen Männchen die Rede und von den Wichtigtuern, die Außerirdische samt ihrer fliegende Untertassen erblickt haben wollen. Seit 90 Jahren werden entsprechende Entdeckungen vermeldet – viele enttarnte Fälschungen, aber ein Rest an Ungewissheit. Gerade als Wissenschaftler ist es nicht so ganz einfach, sich mit dem Phänomen auseinanderzusetzen, ohne seine Reputation aufs Spiel zu setzen. Und doch beschäftigt sich der Trossinger seit vielen Jahren mit den unbekannten Flugobjekten – und die Entwicklungen der letzten Jahre geben dem Soziologen vom Freiburger Institut für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene recht: Das Thema ist aus der wissenschaftlichen Schmuddelecke verschwunden – spätestens seit der ehemalige US-Präsident Barack Obama vor gut zwei Jahren in einem Interview sagte: „Wahr ist, dass es Aufnahmen von Objekten am Himmel gibt, von denen wir nicht genau wissen, was sie sind.“
Neue Entwicklungen
Befeuert wurde das Thema jüngst durch Veröffentlichungen, nach denen der ehemalige US-Militär- und Geheimdienstmitarbeiter David Grusch behauptete, die US-Regierung besitze schon seit längerem Flugobjekte, „intakt oder teilweise intakt“, die nicht menschlichen Ursprungs seien. Seine Informationen stammen, so behauptet Grusch, von „hochrangigen Geheimdienstmitarbeitern“. Anton rätselt nun wie die übrige Fachwelt, als wie glaubhaft die Einlassungen Gruschs zu bewerten sind. Wichtigtuer oder Whistleblower? Diese Frage treibt derzeit viele um und längst nicht mehr nur diejenigen, die dem Phänomen grundsätzlich aufgeschlossen gegenüberstehen. So befasste sich das US-Unterkomitee für Nationale Sicherheit, Grenzfragen und Auswärtige Angelegenheiten in der vergangenen Woche in einer Anhörung mit dem Titel „Unidentifizierte Anomale Phänomene: Auswirkungen auf die Nationale Sicherheit, öffentliche Sicherheit und Regierungstransparenz“ mit dem Thema. Am 26. Juli, so vermeldet es das Nachrichtenmagazin „Focus“ dieser Tage, brechen hochrangige Insider unter Eid ihr Schweigen und decken mögliche Bedrohungen für die nationale Sicherheit auf. Auch Anton hatte Gruschs Aussagen mit Spannung erwartet, muss aber nach der Anhörung vom vergangenen Mittwoch feststellen, dass so sehr viel nicht herausgekommen ist: die bekannten Hinweise, viel Geraune, keine konkreten Hinweise.
Antons Interesse am Thema ist vielgestaltig. Zum einen interessiert er sich – wie praktisch jeder Mensch – für die Frage, ob es in den Weiten des Weltalls anderes Leben gibt und ob Kontakte zur Erde bestehen und aufgefangen wurden. „Das treibt doch jeden um. Wenn es so wäre, dann gäbe es wohl keine größere Nachricht“, sagt Anton. Auch in Deutschland, so registriert der Lehrbeauftragte der Universität Freiburg, werde das Thema mittlerweile offener diskutiert. „Hier erleben wir einen Paradigmenwechsel“, sagt der Trossinger und verweist auf die Gründung eines interdisziplinären Zentrums für Extraterrestrik an der Universität Würzburg, vor sieben Jahren ins Leben gerufen durch Hakan Kayal, Professor für Raumfahrttechnik.
Abseits dieser natürlichen Neugier birgt das Thema für Anton aber viele Ansätze, um sich aus soziologischer Perspektive mit dem Phänomen zu beschäftigen. Er untersucht, wie das Thema in der Öffentlichkeit diskutiert wird. Wie berichten seriöse Medien? Was muss passieren, dass ein zunächst exklusives Thema für Spinner und Verschwörungstheoretiker zum Gegenstand ernsthafter öffentlicher und wissenschaftlicher Diskussion wird? Mit großem Interesse registriert Anton auch die Reaktionen der Medien: Für Boulevardblätter waren Ufo und Co schon länger ein gefundenes Fressen, lassen sich doch mit Schlagzeilen über extraterrestrische Umtriebe kräftig Quote erzielen und Auflagen steigern.
Wissenschaftliche Skepsis
Doch mittlerweile nähern sich auch seriöse Publikationen dem Phänomen – mit Skepsis und vorsichtigen Formulierungen, aber ohne die ironisch-höhnische Distanz früherer Jahre. Der 40-Jährige hat unzählige Veröffentlichungen gesammelt – aus der „New York Times“, aus der „Washington Post“, aber auch „Spiegel“, „Focus“ oder „Frankfurter Allgemeinen“. Dabei registriert er eine vorsichtige Hinwendung zum Thema, ohne es gleich zu diskreditieren. „Es brodelt“, sagt Anton mit Blick auf diese Veränderungen in der Rezeption.
Trotz seiner Begeisterung für den Forschungsgegenstand formuliert Anton wissenschaftliche Skepsis – auch Blick auf die jüngsten Enthüllungen aus den USA. So tauchen seinen Erkenntnissen zufolge im Umfeld des (vermeintlichen?) Whistleblowers Gruschs immer wieder Namen auf, die sich in der Vergangenheit mit steilen Thesen über die Frage nach unbekannten Flugobjekten und extraterrestrischen Wesen eher dem Lager der Verschwörungstheoretiker zuzuordnen waren. Missbrauchen jene Kreise Grusch dazu, ihre Ideen einen seriösen Anstrich zu geben? „Ich habe große Zweifel, denn die Geschichten, die Herr Grusch erzählt, gibt es schon lange“, sagt Anton mit Blick auf die Szene und ihre Protagonisten. Geschichten vom Hörensagen, Geschichten, die es seit neun Jahrzehnten immer wieder hochspült. Geschichten, die alten Mustern folgen. Geschichten, die offensichtlich falsch sind oder sich nie bestätigen ließen.
Abgesehen von diesen konkreten Zweifeln plädiert Anton dafür, sich mit der Frage auseinanderzusetzen, wie einer anderen, möglicherweise höher entwickelten Kultur zu begegnen ist. „Was passiert nach der Entdeckung?“, dafür müsse sich die Menschheit wappnen, meint Anton. Asymmetrische Kulturkontakte, so zeigt es die Geschichte der Menschheit, waren zumeist begleitet von verheerenden Auswirkungen. Man denke nur an das Aufeinandertreffen der Eroberer mit der Urbevölkerung auf beiden amerikanischen Kontinenten. Als Soziologe macht sich Anton auch Gedanken darüber, wie jene, die im Besitz exklusiver Informationen über nicht identifizierte Luftphänomene, ihr Wissen kommunizieren könnten. Sollte sie es überhaupt? „Diese Frage habe ich auch meinen Studenten gestellt“, sagt Anton. „Es muss öffentlich gemacht werden“, so die Reaktion der meisten, berichtet Anton. Doch je länger sie sich mit dem Thema beschäftigen, desto größer werden die Zweifel. Was wären die Folgen? Bestünde nicht die Gefahr einer Massenhysterie? Fragen, die mitbedacht werden müssen.
Das wissenschaftliche Interesse an Erkenntnis deckt sich mit seiner Neugier. „Wir haben eine große Freiheit“, sagt der Trossinger mit Blick auf das private Institut, das sich ausdrücklich auch der Erforschung grenzwissenschaftlicher Phänomene verschrieben hat. „Damit kann ich Themen besetzen, die sich sonst im wissenschaftlichen Bereich schwertun“, sagt Anton, der mit seiner Forschung auf großes Interesse stößt. So war er vor einiger Zeit in der SWR-Radiosendung „Leute“, um dort zwei Stunden lang über sich und sein Forschungsfeld zu berichten.
Populäre Forschungsfelder
Dabei hat der Soziologe offenbar ein Gespür für Themen, die auch abseits des wissenschaftlichen Betriebs zunehmende Aufmerksamkeit erfahren und medial rasante Karrieren hinlegen. So beschäftigt er sich seit Jahren auch mit Verschwörungstheorien – ein Forschungsschwerpunkt, der nicht zuletzt durch die Pandemie enorm an Bedeutung gewonnen hat. „Meine Prämisse ist, dass ich nach wissenschaftlichen Kriterien vorgehe“, sagt er mit Blick auf seine populären Fachgebiete. Dass er dabei bisweilen kritisch beäugt wird, stört ihn nicht weiter: „Man setzt sich damit zwischen die Stühle, aber dort sitze ich ganz gerne.“