Interview: „Der Sozialstaat ist über seine Grenzen hinaus“

Dr. Hans-Ulrich Rülke
Hans-Ulrich Rülke hat in Tuttlingen darauf hingewiesen, welche Probleme den Wohlstand der Region in Zukunft bedrohen (Foto: Uli Deck)

Lokales Seite 15 | Freitag, 15. September 2023

 

Interview: „Der Sozialstaat ist über seine Grenzen hinaus“

Der Tuttlinger Hans-Ulrich Rülke kehrt mit der FDP-Landtagsfraktion in seine Geburtsstadt zurück und feiert einen besonderen Rekord

Hans-Ulrich Rülke hat in Tuttlingen darauf hingewiesen, welche Probleme den Wohlstand der Region in Zukunft bedrohen (Foto: Uli Deck)

Von Matthias Jansen

Tuttlingen

Erst öffentlich, dann hinter verschlossenen Türen: Bevor sich die FDP-Landtagsfraktion zur zweitägigen Klausurtagung nach Wurmlingen zurückgezogen hat, waren die 18 Abgeordneten im Landkreis unterwegs, um sich bei Firmen, Vereinen und Institutionen über die gegenwärtige Lage informieren zu lassen. Der Fraktionsvorsitzende Hans-Ulrich Rülke kehrte dabei in seine Geburtsstadt Tuttlingen zurück. Im Gespräch mit Redakteur Matthias Jansen sprach er über seine Eindrücke, die Sorgen von Firmen und einen besonderen Rekord.

Sie sind gebürtiger Tuttlinger. Wie war es für Sie, nun zur Klausurtagung in Ihre Geburtsstadt zurückzukommen?

Ich komme immer mal, alle paar Jahre, zurück nach Tuttlingen. Familie habe ich hier nicht mehr. Trotzdem ergibt es sich immer mal wieder aus unterschiedlichen Anlässen. Dann habe ich aber angenehme Gefühle.

Welchen Eindruck haben Sie von Tuttlingen?

Es hat sich viel verändert. Manches sieht aber noch aus wie vor 50 Jahren. Nur dass am Aesculap-Gebäude nicht mehr der Schriftzug „Jetter & Scheerer“ steht.

Ihre Kollegen der FDP-Landtagsfraktion und Sie waren am Dienstag im Landkreis unterwegs, haben viele Firmen, Vereine, Institutionen besucht. Was ist bei Ihnen hängen geblieben?

Ich war bei Mercedes Benz in Immendingen auf der Teststrecke und bei der Aesculap AG. Beides war eindrücklich. Dieses riesige Gelände zum Testen der Fahrzeuge, wo es sogar chinesische Markierungen auf der Fahrbahn gibt. Und bei Aesculap der technische Fortschritt und die große Produktpalette.

Welche Botschaft haben Ihnen die Unternehmen für Ihre politische Arbeit mitgegeben?

Dass die Überbürokratisierung für die Schlüsselindustrien schon erheblich sind. Wir haben gebeten, dass die Unternehmen uns die bürokratischen Hemmnisse mitteilen. In Berlin können wir als Teil der Bundesregierung darauf Einfluss nehmen. Im Land können wir momentan als Oppositionsfraktion nur anregen, nicht entscheiden. Und bei europäischen Entscheidungen wie der Medizinprodukteverordnung haben wir wenig Einfluss.

Sven Hinterseh, Landrat des Schwarzwald-Baar-Kreises, hat die Ausweitung der Sozialgesetzgebung kritisiert und die Folgen für die Kommunen dargestellt. Auch Tuttlingens Landrat Stefan Bär kritisiert die immer weitergehenden Leistungen. Ist das in der höheren Politik noch nicht angekommen, vor welchen Problemen Gemeinden und Kreise stehen?

Wir versuchen da gegenzusteuern, indem wir auf die Einhaltung der Schuldenbremse pochen. Das führt dazu, dass man sich nicht jede Wohltat in den Ministerien leisten kann. Viele sind da aber auf einem hohen Niveau und verteidigen alle Besitzstände mit Vehemenz. Der Sozialstaat ist in vielen Bereichen über seine Grenze schon längst hinaus. Und das ist keine gute Entwicklung. Das Prinzip von Fördern und Fordern ist durch das Bürgergeld zugunsten des Förderns verschoben worden.

Welche drängenden Probleme nehmen Sie von Ihrem Besuch in Tuttlingen mit?

Ich bin besorgt, wie schwierig die Situation für unsere Schlüsselindustrien ist. Die Verkehrswende bedroht die Zulieferer. Wenn wir dann auch noch erfolgreiche Cluster wie die Medizintechnik kaputt machen, wo soll unser Wohlstand dann noch herkommen?

Mit 5202 Tagen sind Sie der Fraktionsvorsitzende, der in der Geschichte des baden-württembergischen Landtags am längsten im Amt ist. Was bedeutet Ihnen dieser Rekord?

Es ist politisch nicht das herausragende Ereignis. Es macht aber deutlich, dass es immer wieder gelungen ist, bei Wahlen erfolgreich zu sein und die Fraktion zusammenzuhalten. Sonst hätte das Pferd den Reiter längst abgeworfen.

Weitere 5189 Tage, so haben Sie bei der Gratulation Ihrer Kollegen aus dem Landtag vorhin gesagt, werden Sie nicht im Amt bleiben. Haben Sie einen Zeitplan, wie lange Sie das Amt noch ausüben wollen?

Zunächst einmal bin ich bis März 2026 gewählt. Und wenn es nach mir geht, endet meine politische Arbeit dann nicht. Dann soll die FDP Teil einer baden-württembergischen Landesregierung sein.